Das Theater Lindenhof bringt den Kleist-Klassiker „Der zerbrochene Krug“ ins Naturtheater Grötzingen

Das Lindenhof-Ensemble in Grötzingen mit Kleists „Zerbrochenem Krug“. Bild: Sara Hiller, Nürtinger Zeitung
»Dem Theater Lindenhof gelingt es unter der Regie von Franz Xaver Ott, die Unzulänglichkeit des Einzelnen ebenso zu thematisieren, wie die gesamte gesellschaftliche Situation.«

AICHTAL-GRÖTZINGEN. Theater um und in der Justiz ist ein zentrales Motiv Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“. Aber die Rechtssprechung über Wahrheit und Lüge ist so eine Sache. Es bedarf dazu vertrauensvolle, neutrale und vor allen Dingen unparteiische Akteure. Doch was ist, wenn der Richter selbst statt einer weißen Weste kuriose Schürfwunden und ein hinkendes Bein hat?

Der beschädigte Krug ist Beweismittel für ein Verbrechen – und eine Metapher für das brüchig gewordene Vertrauen in die Gerichtsbarkeit. Es ist eine höchst aktuelle Thematik, welche das Theater Lindenhof am Freitagabend auf die Bühne des Naturtheaters Grötzingen brachte. Die Lindenhof-Theaterproduktion „Der zerbrochene Krug“ wurde realisiert mit der Unterstützung des Ministeriums der Justiz und für Europa Baden-Württemberg sowie in Kooperation mit Gerichtsstandorten im Land.

Die Szenerie des Naturtheaters wird zum unmittelbaren Ort des Geschehens. Es scheint so, als sei der Zuschauer Teil des Gesamten. Er erhält Einblicke einerseits in den Garderobenbereich der Darsteller, andererseits auch hinter die einzelnen trügerischen Fassaden. So kommt es, dass ein sichtlich mitgenommener Dorfrichter Adam auftritt. Bernhard Hurm gelingt es dabei, durch sein Mimik- und Gestikspiel die Zwielichtigkeit seiner Rolle zu vedeutlichen. Auf Nachfrage seines Gerichtschreibers Licht (Karlheinz Schmitt), woher seine zahlreichen Wunden und der ramponierte Fuß stammen, versichert er, dass es beim unglücklichen Aufstehen aus dem Bett geschehen sei. Der Nachricht, dass Gerichtsrat Walter, überzeugend gespielt von Martin Olbertz, aus Utrecht auf dem Weg nach Huisum sei, schenkt zunächst Richter Adam keinen Glauben. Als er jedoch erfährt, dass der Richterkollege im Nachbardorf nach der Revision versucht habe sich zu erhängen, nimmt er die Ankündigung ernst. „Es ist ein Spektakel, wie ich ausseh’“, begreift er peinlich berührt.

Seine Magd Margarethe (Ronja Schweikert) solle seine Perücke holen, doch sie erklärt ihm, dass diese nach der gestrigen Nacht verschwunden sei. „In meine hat die Katze gejungt heute Morgen“, ist Adams bizarre, fadenscheinige Erklärung zum Verschwinden.

„Heute ist Gerichtstag, ich werde euch dabei beiwohnen“: Der Gerichtsrat möchte sich ein Bild vom Rechtswesen auf dem Lande machen. Richter Adam wird daraufhin sichtlich nervös. Auch Walter erkundigt sich nach dem Ursprung der Wunden des Dorfrichters – und dem Zuschauer wird klar, dass Richter Adam einen Gerichtsprozess führen wird, in den er involviert, ja, in dem er gar der Übeltäter ist. Mittel- und Ausgangspunkt der Anklage ist der beschädigte Tonkrug. Es scheint, als sei es eine Lappalie, doch Frau Marthe, treffend energisch gespielt von Carola Schwelien, ist in vollem Aufruhr. Sie beschuldigt den Verlobten ihrer Tochter Eve, Ruprecht Tümpel (Luca Zahn), am Vorabend in deren Zimmer gewesen zu sein und dort besagtes Gefäß beschädigt zu haben. Ruprecht geht darauf nicht ein.

Und Richter Adam? Der ist augenscheinlich darum bemüht, dem jungen Ruprecht die Schuld zuzusprechen. „Ihr seid ja so sonderbar zerstreut“, bemerkt der Gerichtsrat zum auffälligen Verhalten Adams. Nun solle Ruprecht aussagen. Er gibt an, einen anderen Mann bei Eve gesehen zu haben, vermutlich der Flickschuster Lebrecht. Richter Adam unterstützt nun augenscheinlich verzweifelt den Verdacht. Ruprecht habe gesehen, dass der Mann zwar durch das Fenster entkommen konnte. Doch er habe ihm noch Verletzungen am Kopf zugefügt.

Schließlich ist es Frau Brigitte (Ronja Schweikert), die den Richter enttarnt: Sie habe eine Perücke am Ort des Geschehens gefunden, zudem auch Spuren im Schnee, die bis zum Haus des Dorfrichters führten. Nun sprechen alle Indizien gegen Adam – Eve entlarvt diesen schlussendlich.

Kathrin Kestler lässt ihrem Charakter plastisch die Verzweiflung darstellen. Sie erklärt, Adam habe sie mit einem gefälschten Dokument getäuscht: Ihr Verlobter müsse demnach seinen Kriegsdienst in Ostindien ableisten. Mit der Lüge, ihn davor bewahren zu können, habe Adam sich Zutritt zu ihrem Zimmer verschafft. Sein eigentliches Ziel war es jedoch, Eve zudringlich zu werden.

Dem Theater Lindenhof gelingt es unter der Regie von Franz Xaver Ott, die Unzulänglichkeit des Einzelnen ebenso zu thematisieren, wie die gesamte gesellschaftliche Situation. Bühnenbildnerin Katharina Müller kreierte die etwas parodierte Kostümierung thematisch passend zum Gespielten. Textunsicherheiten mancher Darsteller reduzierten die Intensität der Thematik nicht. Der Zuschauer schwankte zwischen amüsanter Beobachtung der skurrilen Geschehnisse und ungläubigem Kopfschütteln: Macht, Machtmissbrauch und zwischenmenschliche, brüchige Beziehungen sind eben ein zeitloser Gegenstand.

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